3. Preis beim doIT Software-Award für Bioinformatiker aus Tübingen

Für eine Software, mit der die Wechselwirkung zwischen Genen simuliert werden kann, erhielt Christian Spieth vom Zentrum für Bioinformatik der Universität Tübingen den dritten Preis (8000 Euro) beim diesjährigen doIT Software-Award. Die Software JCell ermöglicht es jetzt erstmals, genetische Netzwerke zu simulieren und zu rekonstruieren.

Durch verbesserte Experimentiertechniken konnten in den letzten Jahren große Mengen an Daten über biologische Systeme und Prozesse gesammelt werden. In der Regel waren sie die Grundlage dafür, einzelne Gene zu identifizieren.
Im Blickpunkt: das Zusammenspiel der Gene
Ein neuer, ganzheitlicher Ansatz der Systembiologie zielt darauf ab, auch das Zusammenspiel der Gene zu verstehen: Herausgefunden werden soll, wie die Gene in einem Regelnetzwerk funktionieren, wie ihre Wechselwirkung ist und wie sie sich gegenseitig steuern. Am Zentrum für Bioinformatik in Tübingen ist ein Softwarewerkzeug entstanden, das genetische Netzwerke für diese Forschungszwecke simulieren und rekonstruieren kann.
Mit JCell können genetische Netzwerke erstmals simuliert und rekonstruiert werden. (Foto: Universität Tübingen)
Mit JCell können genetische Netzwerke erstmals simuliert und rekonstruiert werden. (Foto: Universität Tübingen)

Mediziner, Biologen und Bioinformatiker ziehen an einem Strang
Rund 25.000 Gene im menschlichen Körper bestimmen nicht nur individuelle Merkmale wie zum Beispiel die Augenfarbe, sondern sind auch für einen reibungslosen Ablauf der Körperfunktionen zuständig. „Dabei steuert ein Gen die Aktivitäten des anderen“, erläutert Christian Spieth. „Alle gemeinsam sind sie in ein genregulatorisches Netz eingebunden.“ Der Tübinger Bioinformatiker und seine Kollegen haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Struktur dieses Netzes anhand von Experimentdaten, die sie von Medizinern und Biologen erhalten, zu rekonstruieren. "Die Vernetzung der Disziplinen wird immer wichtiger", betonte Spieth bei der Preisverleihung. Die von Medizinern und Biologen gelieferten Daten geben Auskunft über den Zustand von vielen verschiedenen Genen zu unterschiedlichen Zeitpunkten. „In Zeitreihen untersuchen wir zum Beispiel den Einfluss eines Erregers auf den genetischen Ablauf im Körper“, sagt Spieth. „Hieraus können wir Regeln ableiten, wie die Abhängigkeit der Gene untereinander aussieht.“
Minister Willi Stächele überreicht den 3. Preis an Christian Spieth für seine Software JCell. (Foto: MFG Stiftung)
Minister Willi Stächele überreicht den 3. Preis an Christian Spieth für seine Software JCell. (Foto: MFG Stiftung)

Störungen in der genetischen Informationskette
Doch nicht nur Erreger, die eine einfache Erkältung verursachen, verändern das Zusammenspiel der Gene. Das Verständnis von genetischer Regulation eröffnet gerade auch in der Diagnostik und Therapie von Krankheiten wie zum Beispiel Krebs oder Alzheimer neue Möglichkeiten. Denn ihre Ursache liegt in einem fehlerhaften Ablauf der genetischen Informationskette verborgen. Ist die Störung erst einmal erkannt, kann in einem nächsten Schritt entschieden werden, welcher Eingriff notwendig ist, um einen regelgemäßen Ablauf wiederherzustellen.

Mit JCell haben die Tübinger Bioinformatiker ein Analysewerkzeug entwickelt, das die Auswertungsmöglichkeiten von experimentellen Daten erweitert. Hatten bisherige Verfahren das Ziel, Genmuster in gesunden und krankhaften Geweben zu vergleichen, lässt sich mit JCell die gewonnene Datenmenge effektiver nutzen. So können die Wissenschaftler beispielweise über die Bestimmung der Anordnung von genregulatorischen Netzen feststellen, wie die Abhängigkeiten der Gene untereinander aussehen. Die Ergebnisse solcher erweiterter Analysen sind die Grundlage für die Simulation der genetischen Prozesse und ihrer Abweichungen - damit also auch für die Möglichkeit, ihre Ursachen zu verstehen und bestenfalls geeignete Therapien zu entwickeln.
JCell - ein Tool für alle Disziplinen
JCell beinhaltet bereits die gebräuchlichen mathematischen Modelle, die zur Simulation einsetzbar sind. „Wir wählen mathematische Modelle aus, welche die zeitlichen Verläufe eines Experiments abbilden, sich also zeitdynamisch genauso verhalten wie die Biologie“, erklärt Spieth. Gerade bei der Verifizierung des richtigen Modells und bei der Entwicklung von Alternativen kommt bei den Bioinformatikern die Kombination von biologischem und mathematischem Know-how zum Tragen: In JCell ist bereits vorhandenes biologisches Wissen über die Genstruktur als Grundlage eingeflossen. „Das Softwaretool ist so ausgelegt, dass es auch von Wissenschaftlern eingesetzt werden kann, die sonst mit Computertechnik nicht viel zu tun haben“, fasst Spieth die Vorgehensweise zusammen. „Wir werden das Preisgeld einsetzen, um JCell im Dialog mit Medizinern und Biologen weiterzuentwickeln.“
Preisverleihung des doIT Software-Award 2005 in Karlsruhe. (Foto: MFG Stiftung)
Preisverleihung des doIT Software-Award 2005 in Karlsruhe. (Foto: MFG Stiftung)

Software bereits im Einsatz
Das langfristige Ziel ist es, auf der Basis von biologischen Daten ein möglichst naturgetreues mathematisches Modell zu finden. Dann nämlich ließen sich beispielsweise Wirkstoffe am Computer überprüfen, ohne dass ein lebender Organismus zu Testzwecken gebraucht würde.

Forscher an der Universität Gießen oder der Insilico Biotechnology GmbH setzen die Software bereits ein, um die Zusammenhänge des metabolischen Systems der Glucoseverdauung in Colibakterien verstehen zu können. Das Projekt wurde vom nationalen Genomforschungsnetz des Bundes als förderungswürdig eingestuft und ist ein Teil des Landesschwerpunktprogramm Baden-Württemberg zur Inferenz metabolischer Netzwerke.


Quelle: MFG Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg mbH

Eine Übersicht über alle Preisträger erhalten Sie unter dem Link oben rechts.
Den Gewinner des doIT-Software-Award stellten wir Ihnen bereits vor: '1. Preis für "NeuRA - Neuron Reconstruction Algorithm' - s. Link oben rechts. Über den 5. Preisträger berichten wir demnächst.

doIT Software-Award 2005 - Bioinformatik auf den ersten Plätzen
mehr Info
1. Preis für "NeuRA - Neuron Reconstruction Algorithm"
mehr Info
doIT Software-Award
mehr Info